Der Nissan e-Leaf - können die Japaner auch elektrisch?
VON Daniel Lehrmann Allgemein Auto
Fahren wie auf Wolken
Nach Fahrtbeginn offenbart der Nissan Leaf für alle Erstfahrer von elektrisch betriebenen Fahrzeugen eine ganz neue Dimension des Fahrens: Kein bedrohlich grollender Motor, keine rhythmischen Vibrationen in den Sitzen – und eine komplette Stille. Auch beim Fahren ändert der Leaf dieses akustische Erlebnis nicht: Der Motor macht zwar Geräusche – die sind aber am einfachsten mit einem leisen Sirren vergleichbar, das die meisten elektronischen Bauteile von sich geben.
Die grössten Schallverursacher sind dann tatsächlich nur der Fahrtwind sowie die Traktion der Reifen auf dem Asphalt. Wer das erste Mal in den Leaf steigt, wird sich angesichts dieser Stille nie wieder wünschen, mit einem herkömmlichen Verbrennungsmotor zu fahren. Neben den fehlenden Geräuschen sind es aber auch die Eigenschaften beim Fahren selbst, die zunächst einen positiven Eindruck vom Nissan Leaf vermitteln.
Beschleunigungskünstler aus Japan
Eine elektrischer Motor muss nicht erst sein Drehmoment entfalten: Das leichte Antippen des Gaspedals reicht aus, damit der Nissan Leaf an der Ampel am schnellsten wieder in die Gänge kommt. Obwohl es sich um einen Kleinwagen handelt, ist das Auto in dieser Hinsicht tatsächlich mit PS-starken Sportwagen vergleichbar. Besonders leicht ist der Leaf in seiner Wagenklasse übrigens nicht: Fast 1,5 Tonnen wiegt das Fahrzeug ohne Insassen und komplett von Ladung befreit.
Als Vergleich kann etwa der (benzinbetriebene) hier vorgestellte Toyota Aygo dienen, der nur etwa die Hälfte an Gewicht auf die Strasse bringt. Interessant: Geschaltet werden muss gar nicht. Aus dem Stand auf 150 km/h? Das schafft der Leaf ohne Gangschaltung! Bei der Höchstgeschwindigkeit kann der Wagen selbstverständlich nicht mit teuren Benzinern mithalten, aber das ist schliesslich auch nicht der Anspruch von Elektrofahrzeugen.
Komfort an erster Stelle
Interessant wird der Nissan Leaf dann, wenn die zahlreichen Komfortfunktionen genutzt werden. Per Smartphone (!) beispielsweise lässt sich ein automatisches Timing für das Einschalten der Heizung im Winter einstellen. Eine halbe Stunde vor Fahrtbeginn kann das Auto dann schon einmal damit beginnen, die Fenster zu enteisen und den Innenraum auf fahrtaugliche Temperaturen zu bringen. In besagtem Innenraum geht es dann – für diese Klasse – ebenfalls recht komfortabel zu: Die Sitze sind ebenso bequem wie in anderen Wagen dieser Klasse.
Bei der Materialauswahl haben die Japaner offenbar nicht gespart (auch wenn Grossteile des Leaf-Interieurs aus Kunststoff bestehen). Kleinigkeiten lassen sich ausserdem an die eigenen Bedürfnisse anpassen, so dass selbst das Lenkrad im Neigungswinkel und der Tiefe sehr präzise kalibriert werden kann. Die vielen Ablagen sorgen für genügend Raum für Handy, Schlüssel, eventuelle Feuerzeuge für Raucher und dergleichen mehr. Für einen Wagen, der vornehmlich in einer Nische unterwegs ist, kann diese Vorstellung voll und ganz überzeugen.
Und die Leistung?
Elektromotoren entfesseln unter keinen Umständen dieselbe Leistung wie Benziner, der Nissan Leaf stellt keine Ausnahme dar. Der Motor kann immerhin 109 PS anbieten, das Drehmoment liegt bei sehr ordentlichen 254 Nm. Laut Herstellerangaben benötigt das Auto ungefähr 11,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Im Alltagstest fühlt es sich hingegen so an, als würde es schon etwas schneller gehen.
Dieser subjektive Eindruck kann jedoch auch dem flotten Antritt geschuldet sein. Wer wirklich schnell fahren will, bekommt dafür jedoch keine Gelegenheit: Bei 144 km/h riegelt der Motor automatisch ab, mehr ist also auch auf kerzengeraden Autobahnen nicht drin. Allerdings ist das auch nicht weiter schlimm, denn bei einer derart hohen Geschwindigkeit wird der Akku schnell wieder entladen – womit wir wieder beim immerwährenden Problem der Elektrofahrzeuge wären.
Kein Wagen für Langstrecken
Wer einen vollständig entladenen Motor wieder komplett mit Strom speisen möchte, muss zunächst etwa zwölf Stunden warten. Spontane Ausflüge über längere Strecken sind also nur selten möglich. Auch fällt die maximale Reichweite eher eingeschränkt aus: 199 Kilometer werden zwar herstellerseitig angegeben, allerdings betrifft dies die bestmöglichen Bedingungen.
In der Praxis sorgen Klimaanlage, Heizung und andere Stromfresser dafür, dass nicht viel übrig bleibt vom umweltfreundlichen Langstreckenläufer, denn die Reichweite kann mit diesen Komfortfunktionen schon um 30 bis 40 % abfallen – und eine niedrigere Motorenleistung muss man ebenfalls in Kauf nehmen. Wer sich nicht an den Eco-Modus des Nissan Leaf halten möchte, erhält vielleicht etwas mehr als 100 Kilometer tatsächliche Reichweite. Damit dürfte der Wagen bei vielen ansonsten interessierten Käufern schon von der Liste gestrichen werden.
Lohnt sich der Kauf trotzdem?
Wer sich an den Problemen bezüglich der Reichweite nicht stört, erhält ein gutes Elektrofahrzeug – mehr nicht und weniger auch nicht. Möchte man die maximale Umweltfreundlichkeit auf die Strasse bringen, muss man jedoch tief in die Tasche greifen. Ein neuwertiger Nissan Leaf ohne Extras kostet 36’100 Franken, für das Topmodell werden gar 43’900 Franken fällig. Ungeduldige Käufer mit gut gepolsterten Taschen dürfen also zugreifen, der durchschnittliche Fahrer darf aber gerne noch warten – auf den Durchbruch der Elektroautos, der bestimmt bald kommen wird.
Oberstes Bild: Nissan e-Leaf (Bild: Christopher Halloran / Shutterstock.com)