Oldtimer mit Geschichte

Auf Hochglanz polierte Oldtimer haben den meisten aktuellen Wagen, die derzeit über die Strassen fahren, eine Sache voraus: Sie befinden sich meist in einem deutlich besseren Zustand und sind auch noch mehr wert. Allerdings könnte hier gerade ein Umdenken stattfinden, wie die Oldtimer-Messe Techno Classica zeigt.

Das Auto mit Charakter

Zu Jahresbeginn wurden in Arizona bei einer Oldtimer-Auktion – wie sie wohl täglich irgendwo auf der Welt stattfinden – gleich zwei Mercedes 300 SL verkauft. Wer schon einmal auf einer solchen Messe war, weiss, wie die meisten Fahrzeuge dort aussehen: Im praktisch unberührten Zustand, gewachst und poliert warten sie dort auf ihren neuen Besitzer oder einfach nur auf Zuschauer. Bei dieser Auktion jedoch befand sich nur einer der beiden 300 SL in diesem Zustand – der andere war sehr offensichtlich gefahren worden, gealtert, mit deutlichen Gebrauchsspuren und Rissen im Leder sowie Rost auf dem schwarzen Lack.

Verkauft wurde der Wagen dennoch für umgerechnet etwa 2,3 Millionen Franken. Bemerkenswert daran ist, dass der praktisch neuwertige Mercedes nur 1,7 Millionen Franken einbrachte – obwohl es sich objektiv gesehen natürlich um das besser erhaltene Fahrzeug handelte. Dass dies kein Einzelfall war, zeigt die erwähnte Techno Classica, welche derzeit in Essen in Deutschland stattfindet.


Ein Stück Opel-Geschichte auf Techno Classica Essen (Bild: Michiel2005, Wikimedia, CC)


Emotionale Geschichten verkaufen Autos

Bei der Techno Classica handelt es sich um die weltweit grösste Messe für Oldtimer überhaupt. Den hier und da ausgestellten Wagen, der nicht restauriert wurde, hat man zwar auch in den vergangenen Jahren gesehen – aber inzwischen sind die „dreckigen“ Oldtimer mehr als nur eine Randnotiz. Hunderte von Modellen stehen dort auf ihren Plätzen und sehen aus, als hätte sie der Fahrer einfach von seinem Heimatort aus nach Essen gefahren, um dort direkt auf dem Messestand zu parken. Die Experten sind sich einig, warum das so ist: Neben dem Wagen selbst muss mittlerweile auch die Geschichte des Autos eine Erwähnung finden.

Jene Geschichte lässt sich am besten direkt am Objekt erklären: Ein Kratzer in der Fahrertür etwa könnte auf einen Unfall hindeuten – wo, wann und unter welchen Umständen ist das passiert? Gibt es dazu eine Dokumentation in Form von Papieren? Wer jene Fragen beantworten und belegen kann – Fantasiegeschichten sind nicht erlaubt –, treibt den Wert seines Oldtimers mitunter deutlich in die Höhe, wie das Beispiel des Mercedes 300 SL gezeigt hat. Je mehr „Begleitmaterial“ es zum Wagen gibt, desto besser: Fotos aus dem Urlaub, bescheinigte Besuche in Werkstätten, Kaufverträge, Umbauverifikationen und dergleichen mehr können heute viel Geld in die Kasse spülen.


Elvis Presley’s Mercedes-Benz 600 auf Techno Classica Essen (Bild: Michiel2005, Wikimedia, CC)


Geschäftsidee Oldtimer

Wolfram Stein, der über Umwege an den alten Volvo 244 GL seiner Tante kam und dabei unfassbare Mengen an Papierkram in den Händen hielt, hatte wohl denselben Gedanken: Da heutzutage ein reges Interesse an den Geschichten der Oldtimer herrscht, wäre eine digitale Anlaufstelle für Gleichgesinnte eine sinnvolle Sache. Er hatte die Idee, eine Art Lebenslauf für Autos zu erstellen und im Internet zu veröffentlichen. Da er auch als Informatiker nicht über die Ressourcen verfügte, dieses Projekt selbst auf die Beine zu stellen, wandte er sich an den Automobilclub von Deutschland (AvD).

Dorthin können Oldtimerbesitzer nun ihre Papiere und Fotos senden – je mehr, desto besser – und einscannen lassen. Alle Unterlagen bekommt der Besitzer anschliessend wieder ausgehändigt. Das Resultat ist eine grosse Online-Datenbank, in welcher Fahrzeuge präsentiert werden können – ohne Hintergedanken oder gewinnbringende Absichten seitens der Besitzer. Damit Datenschutzbedenken unbegründet bleiben, darf jeder Besitzer selbst entscheiden, welche Fotos und Dokumente auf der Plattform gezeigt werden sollen.


Roter Mercedes auf Techno Classica Essen (Bild: Michiel2005, Wikimedia, CC)


Oldtimer als Investition

Geld verdienen möchte Stein mit seiner Idee auch: Zusammen mit dem AvD ist ein Preismodell ausgetüftelt worden. 150 Euro kostet ein einmaliger Zugang zu dieser Online-Datenbank mit all ihren Vorteilen, Mitglieder des AvD können den „CarPass Classic“ umsonst nutzen. Dass diese Preise gerechtfertigt sind, findet beispielsweise Frank Wilke von Classic Car Analytics: Viele Hersteller stellten inzwischen wieder Bauteile her, die jenen aus längst vergangenen Jahrzehnten exakt entsprächen. Der Weg gehe hin zur behutsamen Modellpflege und weg von der Restauration jedes einzelnen Bauteils, die Nachfrage nach einer solchen Datenbank sei also gross.

Das nachträgliche Aufmöbeln von Oldtimern, die komplett ohne auch nur die winzigste Unebenheit im Lack auf den Messestand rollen, ist nicht mehr gefragt. Beim erwähnten Mercedes 300 SL hatte der Besitzer es übrigens ebenso gehandhabt: Seit 1983 stand das Fahrzeug in einer Garage, ohne auch nur ein einziges Mal angefasst worden zu sein. 2013 wurden daraus die erwähnten 2,3 Millionen Franken. Es ist also nicht verwunderlich, dass auch grosse Zulieferer wie Bosch wieder Bauteile für Oldtimer herstellen, welche für viel Geld den Besitzer wechseln.



Kehrtwende im Oldtimer-Segment?

Gänzlich überbewerten darf man die Ergebnisse der Techno Classica aber auch nicht: Die auf neu getrimmten Oldtimer sind noch immer deutlich mehr wert und spülen im Vergleich mehr Geld in die Kassen der Besitzer. Daran ändern auch einige Ausreisser wie der Mercedes aus Arizona nicht viel. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass sich auf lange Sicht vielleicht zwei Modelltypen etablieren, um auf Messen in Zukunft nicht nur vom Hochglanzlack geblendet zu werden.

 

Oberstes Bild: Mercedes-Benz 300 SL auf Techno Classica Essen (Bild: VanderWolf Images / Shutterstock.com)

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