Dauerbrenner Motorrad: Verlockend günstig – trotzdem Vorsicht!
VON Robert Schumann Allgemein Motorrad
Merkwürdige Preisentwicklung
Was dem Einsteiger im Motorradmarkt schnell auffallen wird, ist, dass die Kaufpreise für ein Motorrad höchst unterschiedlich sind. Als Neufahrzeuge haben Motorräder inzwischen die Preise von Klein- und Mittelklassewagen erreicht. 35’000 Franken und mehr sind für neue Motorräder der etablierten Marken ein völlig normaler Einstiegspreis. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt.
Schaut man sich aber auf dem Gebrauchtmarkt um, dann ist ebenso bemerkenswert, für wie wenig Geld bereits ein anscheinend brauchbares Motorrad zu bekommen ist. Zwar betreffen die besonders günstigen Angebote Fahrzeuge, welche deutlich über zehn Jahre alt sind. Aber man hat auch in den 90ern bereits technisch ausgereifte Maschinen hergestellt, so dass diese Angebote für Einsteiger durchaus interessant sein sollten. Doch woher kommen diese teilweise phänomenal günstigen Preise?
Dramatischer Wertverlust
Was bei Autos schon sehr schmerzhafte Realität ist, kommt bei Motorrädern noch sehr viel gravierender zum Tragen: der Wertverlust. Ein relativ eng bemessener Markt, ein grosses Angebot an Gebrauchtmotorrädern und die hohe Qualität der etablierten Hersteller lassen den Markt für Einsteigermotorräder zu einem Käufermarkt werden. Viele Motorräder der Herstellerjahre bis in die 2000er-Jahre hinein sind vergleichsweise einfach zu warten. Das hält den Bestand ebenfalls hoch. Es ist dennoch erstaunlich, wie viel Motorrad man für unter 2000 Franken bekommen kann. Das ist sehr verlockend, jedoch gelten gerade beim Kauf eines gebrauchten Motorrades besondere Regeln.
Was soll´s sein – Cruiser, Renner oder Geländemaschine?
Motorrad ist nicht gleich Motorrad. Auch wenn die Qualität der Marken an sich mittlerweile durchaus vergleichbar ist, sind Image und Einsatzzweck höchst unterschiedlich. Mit Ausnahme von Harley-Davidson haben alle Hersteller die ganze Produktpalette im Programm. Cruiser und Chopper für die gemütlichen Überlandtouren, schnelle Maschinen mit Vollverkleidung für die Autobahnjagd und hochbeinige Geländemaschinen für den groben Einsatz sind das übliche Portfolio.
Dazu sind die Leistungswerte ebenso unterschiedlich. Die übliche Bandbreite liegt zwischen 34 und 150 PS. Diese Staffelung ist auch anzuraten. Ein Motorrad ist etwas völlig anderes als ein Auto. Es ist absolut zu empfehlen, mit einer leistungsschwächeren Maschine zu beginnen und sich schrittweise hochzuarbeiten.
Man kann davon ausgehen, dass Geländemaschinen und Rennmaschinen technisch mehr beansprucht werden als Cruiser und Chopper. Wer ausgedehnte Touren auf Landstrassen liebt, der behandelt sein Motorrad anders als Fahrer, welche ständig auf Höchstgeschwindigkeitsjagd gehen oder ihr Fahrzeug zum Bergsteigen verwenden. Gerade günstige Angebote in diesen Bereichen haben häufig tief sitzende Mängel, welche man auf den ersten Blick nicht sieht. Gravierend sind dabei Sturzschäden. Diese kann man durch den Austausch von Verkleidungsteilen zwar optisch retuschieren. Ob der Rahmen einen Schaden genommen hat, kann man aber nur in einer Fachwerkstatt feststellen lassen.
Schwachpunkt Motor
Der Laie kann mit noch so viel Enthusiasmus nur begrenzt an einem modernen Motorrad mechanisch tätig werden. Motor, Getriebe und Benzinversorgung sind Bereiche, in die gerade bei Hochleistungsmaschinen mit über 80 PS nur noch ein Fachmann eingreifen sollte. Eigene Reparatur- und Wartungsversuche enden meistens in Totalschäden. Hier kehrt sich leider das Verhältnis von Angebot und Nachfrage um: Die wenigen Fachwerkstätten für Motorräder wissen um den Wert ihrer Kenntnisse. Entsprechend hoch sind die Preise, um einen defekten Motor wieder instand zu setzen. Zumal bei den hochdrehenden Antrieben, welche auf Motorrädern eingesetzt werden, auch wirklich hochspezielle Kenntnisse, Werkzeuge und Fertigkeiten verlangt werden.
Betrachtet man beispielsweise die Reihen-Sechszylinder, wie sie in den 70er- und 80er-Jahren in viele Motorräder verbaut wurden, dann wird schnell klar, dass auf so einem Motor selbst die Ventileinstellung zur Meisterprüfung wird. Besonders kritisch wird es bei eingelaufenen Nockenwellen, defekten Kurbelwellenlagern und abgenutzten Stösselstangen. Hier müssen häufig Dreh- und Fräsmaschinen eingesetzt werden, um die Maschinen wieder gebrauchstauglich zu machen. Dieser Aufwand übersteigt den Restwert eines Motorrads sehr schnell um das Mehrfache.
Trotzdem das günstige Angebot versuchen?
Dennoch: Eine frisch inspizierte Suzuki Bandit für unter 4000 Franken, eine liebevoll gepflegte GPZ für unter 2000 Franken oder selbst eine vollausgestattete Gold Wing für unter 5000 Franken sind heute auf dem Gebrauchtmarkt verfügbar. Für eine oder zwei Saisons kann ein günstiges Motorrad durchaus genügen. Stellen sich aber die ersten Probleme ein, sollte stets mit Augenmass darauf reagiert werden. Ansonsten läuft man Gefahr, in ein geldfressendes Projekt zu investieren, das kein Ende finden wird.
Kein Saisonstart ohne Inspektion
Gerade Käufer günstiger Motorräder sollte jedoch eines dringend angeraten sein: Fahren Sie als Allererstes mit dem frisch erworbenen Bike in die nächste Fachwerkstatt und lassen sie es inspizieren. Eine reissende Kette, ein lockeres Bremsgestänge, ein blockierender Motor haben auf einem Motorrad völlig andere Folgen als in einem Auto. Stürze sind mit einem Bike stets mit einer grossen Verletzungsgefahr verbunden. Diese vermeidet man nur durch fahrerisches Können und durch eine technisch einwandfreie Maschine.
Oberstes Bild: Das Motorrad übt seit Anbeginn der Motorisierung eine ungeheuerliche Faszination aus (© Marc Xavier – Fotolia.com)