"Stile Bertone" - eins der erfolgreichsten Designbüros der Autobranche
VON Ulrich Beck Auto
1934 stieg Giovannis Sohn Giuseppe Bertone (1914-1997) in das Familienunternehmen ein. Zuvor hatte er eine Lehre als Buchhalter abgeschlossen. Mit „Nuccio“, so sein Spitzname, kam der grosse Erfolg. Schon nach drei Jahren seiner Tätigkeit gewann er mit dem stromlinienförmigen Blechkleid des Fiat 1500 den Stylingwettbewerb der Stadt Turin. Unter seiner Führung sollte die Firma Bertone nicht nur in die Liga der führenden Autodesigner weltweit aufsteigen, er revolutionierte geradezu die Branche wie kein anderer Gestalter des 20. Jahrhunderts.
Dabei kamen die meisten Entwürfe nicht wirklich von ihm selbst. Andere italienische Designer wie Giorgetto Giugaro, Marcello Gandini oder Franco Scaglione, allesamt von Bertone entdeckt, waren die Köpfe hinter dem Design. Scaglione schuf u. a. das Alfa Romeo Giulietta Coupé. Dieser Wagen lief in einer extra für seine Produktion gebauten Fabrik vom Band.
Danach folgten Schlag auf Schlag Neuheiten, darunter Einzelstücke und Kleinstauflagen wie das Alfa Romeo BAT-Coupé, aber auch immer mehr Grossserienfahrzeuge wie der Giulietta SS von Alfa Romeo, ab 1957 der NSU Sport Prinz, ab 1961 das Simca 1000 Coupé, ein Jahr später der BMW 3200 CS. Kaum ein Hersteller von Sportwagen wollte zu dieser Zeit auf die Dienste von Bertone verzichten. Bei Ferrari kam Bertone allerdings nur selten zum Zuge. Der Sportwagenhersteller aus Maranello liess meistens Bertones wahrscheinlich stärksten Konkurrenten, Pininfarina, für sich arbeiten.
1959 verliess Scaglione das Unternehmen. Ihm folgte Giugiaro, unter dessen Federführung Studien wie der Chevrolet Corvair Testudo und der legendäre Ferrari 250 GTO, aber auch Alltagsautos wie der Alfa Giulia GT oder Fiat 850 Spider entstanden. Giugiaro blieb allerdings nur sechs Jahre bei Bertone, danach wechselte er zunächst zum Konkurrenten Ghia, 1968 gründete er seine eigene Firma „Italdesign“. Sein Nachfolger als Designchef wurde Marcello Gandini.
Gandini führte kantige, keilförmige Karosserien als Stilmerkmal ein und sorgte dafür, dass Lamborghini zur harten Konkurrenz für Ferrari wurde. Die erste Arbeit für Lamborghini war der Miura von 1966. Es folgten der Viersitzer Marzal (1967), der Espada (1968) und schliesslich 1971 der Countach. Dieser Wagen sowie der Alfa Carabo (1968) und der Lancia Stratos (1971 wurden zu Ikonen der Automobilgeschichte. Auch der Lamborghini Diablo von 1990 stammt noch von Gandini, der zu dieser Zeit aber bereits als Freelancer tätig war.
In Grossserie ging die Keilform mit dem X1/9 von Fiat in 1972. Weitere Massenfahrzeuge folgten in den Jahren danach: der Audi 50 (1974), der erste VW Polo (1975), der Renault 5 (1984) sowie der Citroën BX (1982). In den 1990er Jahren ging Bertone Kooperationen mit Opel und Volvo ein, um seine Kapazitäten auszufüllen. Allerdings war zu dieser Zeit klar, dass die Glanzzeit von unabhängigen Karosseriebauern zu Ende ging. Die grossen Hersteller begannen – begünstigt durch neue Fertigungsmethoden – Kleinserien von Cabriolets und Coupés selbst zu bauen.
Hinzu kam die Absatzkrise für Pkw in der Mitte der 2000er Jahre. Die „Carrozzeria Bertone“ hatte mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen und musste schliesslich Konkurs anmelden. Anderen Karosseriebauern wie z.B. Karmann erging es ähnlich. Die Unternehmensgruppe wurde zerschlagen, allein das Designzentrum namens „Stile Bertone“ ist gegenwärtig noch selbstständig. Geleitet wird sie von der Witwe Giuseppes, Ermelinda Bertone. In 2011 mussten gar einige legendäre Designstudien aus dem Museum der Firma versteigert werden, um an Bargeld zu kommen, darunter der Lancia Stratos Zero und der Lamborghini Marzal. Zuletzt gab es allerdings Anzeichen für einen Neuanfang. Die Geschäftsleitung hat Investitionen in Millionenhöhe bis zum Jahr 2016 und einen Gang an die Börse im Visier.
Giuseppe Bertone war bis zu seinem Tod 1997 – soviel ist gewiss – einer der einflussreichsten Designer der Automobilbranche. Sein Unternehmen gestaltete mehr als 60 Prototypen und 40 Serienfahrzeuge, die nachhaltigen Einfluss ausübten. Neben der allgemeinen Anerkennung in der Fachwelt und beim Publikum wurde sein Lebenswerk auch mit zwei besonderen Auszeichnungen gewürdigt: Zum einen verlieh ihm das Art Center College of Design im kalifornischen Pasadena den Ehrendoktor, zum anderen wurde er 2006 posthum in die Detroiter Automotive Hall of Fame aufgenommen.
Oberstes Bild: Luzern – Verkehrshaus – Lamborghini Miura © Andrew Bossi – wikimedia.org