Die Schweiz als Vorbild: Überprüfung der Fahrtauglichkeit älterer Autofahrer ist Pflicht
VON Michael Radtke Allgemein Auto
In Europa haben die meisten Länder daher regelmässig durchzuführende Prüfungen für Senioren eingerichtet. So sind in der Schweiz seit bereits vierzig Jahren entsprechende Gesundheitstests vorgeschrieben. Wer das Alter von 70 Jahren erreicht hat, muss sich alle zwei Jahre vom Hausarzt gründlich untersuchen lassen. Dieser entscheidet dann, ob die Fahrtüchtigkeit in vollem Umfang gegeben ist.
Schweiz: Regelmässige Überprüfungen sind Pflichtveranstaltungen für Senioren
Sollte der Arzt nämlich Zweifel an der allgemeinen Fahrtüchtigkeit hegen, muss der Senior bzw. die Seniorin entweder zum Facharzt oder sogar zu einer erneuten Fahrprüfung. Dies ist für die allgemeine Situation respektive für eine nachhaltige Verkehrssicherheit in der Schweiz belegbar von Vorteil. Allerdings darf dabei keinesfalls die persönliche Situation der älteren bzw. alten Menschen unberücksichtigt bleiben. Falls die Senioren nämlich bei der Überprüfung durch ihren Hausarzt durchfallen, sind sie oftmals gezwungen, ihr komplettes Leben umzustellen. Diesbezüglich muss auch bedacht werden, dass einige Senioren mit über 70 Jahren häufig beruflich noch sehr aktiv sind (Beraterfunktionen, Kurierdienste etc.). Für diese Senioren ist die Fahrerlaubnis ein entscheidender Teil der Lebensqualität.
Dr. Rolf Seeger, der für das eidgenössische Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich tätig ist, kennt die Probleme, die dann auf die betagteren Schweizer zukommen. Ältere Menschen merken oft überhaupt nicht, dass ihre Sinnesorgane – teilweise sogar extrem – nachlassen bzw. nachgelassen haben. Das ist ganz normal, da es sich in der Regel um eine relativ langsame Entwicklung handelt. Fallen die älteren Herrschaften dann durch die Überprüfung beim Hausarzt, stehen viele von ihnen regelrecht unter Schock.
Schweizer Staat übernimmt quasi die Fürsorgepflicht für ältere Autofahrer
Oft haben die Betroffenen noch gar nicht richtig wahrgenommen, dass ihre Sehschärfe immer weiter abgenommen hat; auch die Gehirnleistung kann vom Potenzial her zurückgehen, was im Umkehrschluss dazu führen kann, dass diejenigen einfach nicht mehr in der Lage sind, ihre eigenen Defizite zu erkennen. Daher ist es Seegers Meinung nach unabdingbar, entsprechende Kontrollen von Aussenstehenden durchführen zu lassen. Die Schweiz macht hier also alles richtig und übernimmt im übertragenden Sinn eine mehrdimensionale Verantwortung. Einerseits wird mehr Sicherheit im Strassenverkehr generiert. Auf der anderen Seite erfüllen die staatlichen Institutionen hier eine Art Fürsorgepflicht gegenüber den älteren Autofahrern.
Während in der Schweiz also die Fahrtauglichkeit der Älteren regelmässig überprüft wird, stellt sich die Situation in Deutschland gänzlich anders dar. Viele argumentieren hier mit dem Verweis auf die Unfallstatistik, aus der ersichtlich ist, dass an den meisten Unfällen die eher jungen Autofahrer beteiligt sind. Dies ist zwar nicht von der Hand zu weisen, Fakt ist aber auch: Wenn Autofahrer ab 75 Jahren an Verkehrsunfällen beteiligt sind, dann sind sie in rund 75 % aller polizeilich aufgenommenen Unfälle schuld. Mit dieser Quote lässt die Ü-75-Gruppe sogar die Hochrisikogruppe der Fahranfänger weit hinter sich.
In Deutschland können sich die Politiker nicht für entsprechende Kontrollen entscheiden
Deutsche Unfallforscher und auch Mediziner schauen diesbezüglich neidisch zum kleinen Nachbarn Schweiz hinüber. Gerade die typischen Seniorenunfälle könnten demnach durch regelmässige Überprüfungen der Fahrtauglichkeit bzw. des Gesundheitszustandes verhindert werden. Oftmals fällt den älteren Autofahrern nämlich der Blick über die Schulter schwer, oder es werden schlichtweg kreuzende Autos übersehen. Obwohl Unfallforscher, Mediziner und auch Politiker die Bundesregierung auffordern, in diesem Fall dem Schweizer Vorbild zu folgen, werden keine neuen Richtlinien bzw. Gesetze ins Kalkül gezogen.
Das Problem: Laut den Unfallforschern der Dekra kann keine feste Altersgrenze bestimmt werden, ab der ein Autofahrer grundsätzlich nicht mehr fahrtauglich ist. Es gebe diesbezüglich Fälle, in denen bereits ein 55-Jähriger massive Probleme beim Autofahren hat. In anderen Fällen führen 85-Jährige ihr Auto sicher und unauffällig durch den Strassenverkehr. Genau dieses Argument nutzt auch die bundesdeutsche Politik, wobei es parteiübergreifend so scheint, als scheue man Konflikte mit den Älteren.
Ob CDU, SPD oder FDP: Eine regelmässige Überprüfung der Fahrtauglichkeit der älteren Autofahrer wird in Deutschland rigoros abgelehnt. Nur die Grünen loben immer wieder das Schweizer Modell der regelmässigen Kontrollen. Allerdings oftmals auch eher hinter vorgehaltener Hand oder lediglich bei parteiinternen Treffen. Offiziell verlangen sie nämlich lediglich eine alle 15 Jahre stattfindende Überprüfung der Fahrtüchtigkeit. Diese Regelung wäre allerdings – mit Verlaub – weder Fisch noch Fleisch.
Oberstes Bild: Eine regelmässige Überprüfung der Fahrtauglichkeit der älteren Autofahrer ist in der Schweiz Pflicht. (© Goodluz / Shutterstock.com)