Der Oldtimer als Kulturgut – über die Autovergangenheit in eine bessere Autozukunft
VON Christian Erhardt Allgemein Auto
Das gilt im Übrigen auch für die Szene der Biker, die wieder „Back to the Roots“ wollen. Heiss muss der Feuerstuhl sein, rebellisch und puristisch. Individualität schlägt Einheitsbrei. Marlon Brando und James Dean erleben ihre Auferstehung auf dem Markt der Autos und Zweiräder.
Wer angepasst arbeitet, will beim Fahren rebellieren
Am Tage tragen sie Anzug, bevölkern Banken oder die Vorstandsetagen von Konzernen, aber am Abend und am Wochenende, da ist Rebellion angesagt. Wenn auch nur im Auto oder auf dem Sattel eines Motorrades. Das urbane Leben sucht sich Nischen, Felder, Ecken und Randbezirke, in denen es sich völlig neu erfinden darf. Kunst ist out, Boheme von gestern und die Armee der Neugierigen zieht einfach weiter. Und das zum Beispiel als Freizeit-Rocker, Old Fashioned Biker oder als Fans der Oldtimer.
Aber auch da regiert der Trend. Out sind sie, die Bikes, die mit Sitzzonen in der Grösse eines Big Sofas daherkommen und auf denen gesättigte Angestellte ihren Frühlings-Feierabend bikend begehen. Bequem muss es eben sein und das nicht nur auf dem Bürostuhl. Die Neugierigen wollen das Brando-Feeling erleben, streben nach dem, was „The Wild One“ fühlte.
Brando und Dean erleben ihre Wiederauferstehung per Bike und Oldtimer
Sie sehen aus wie grauhaarige Rebellen. Brando in alt. Und sie bevölkern die Landstrassen und Bergstrecken in Frankreich. Die Southsiders. Drahtige Gestalten, bärtig wie ZZ Top, mit Tattoos übersät und das Ganze auf giftigen Feuerstühlen. Nein, keine hochgezüchteten „Reiskocher“, sondern bösartig motorisiert und vor allen Dingen minimalistisch aufgestellt. Ganz ohne technischen Schnickschnack.
Auch auf die übliche Schutzkleidung wird weitgehend verzichtet und der Helm mutet nicht mehr so an, als würden die Figuren aus Star Wars lebendig. Jeans, T-Shirt, Lederjacke, Eierschale auf dem Kopf und fertig. Ganz gleich wie, nur alt muss der Look aussehen. Nach Brando muss es riechen. Die Luft, welche sie an der Atlantikküste geniessen dürfen, sorgt für eine gesunde Hautfarbe – trotz vieler Zigaretten, die man sich in den Pausen gönnt. Wollte man Filme über Biker drehen, sie wären die Top Models der Szene.
Sie entfliehen mit den Bikes den Konventionen der Gesellschaft, finden ihre Nische, ihr Randfeld. Handelt es sich bei ihnen um Gestrandete? Weit gefehlt. Kreative Köpfe sind sie in ihren Unternehmen, Journalisten und Freiberufler. Sie sind eine Art Gentlemen’s Club, der sich neue Wege des Customizing sucht.
Youngster tendieren zum Smartphone und zu neuen Apps
Der Weg der Southsider ähnelt irgendwie dem Weg der Gumballer. Blech, Stahl, Benzin – Sportwagen fernab jeder preislichen Normalität treffen sich zu mehr oder minder legalen Rennen. Eine Nische, die es zu besetzen galt. Ein Weg, der abseits der Normalität abläuft. Ein Weg, den die Jugendlichen aktuell nicht teilen wollen.
Der Geruch von Benzin und der Kick der Beschleunigung haben auf sie ihren Reiz verloren. Das Smartphone regiert, die Tablets und die Netbooks. Kein Wunder, sind doch die aktuellen Autos und Bikes eher Smartphones oder Tablets mit Motor und Rädern. Der Bordcomputer wird zur App, der Sitz zur Wellness-Oase. Wie soll man da einem jungen Menschen noch Benzin einflössen? Das Gefühl generieren sie doch via App viel schneller – und sicher vor dem heimischen Flat-TV.
Back to the Roots beim Auto und beim Motorrad
Aber es gibt sie noch und sie werden mehr, die PS-Nostalgiker und Benzin-Romantiker. Die Begeisterung für die automobile Bestandsware ist eine Form der Gesellschaftskritik. Ein stiller Protest gegen mehr und mehr Technisierung, gegen Computerisierung und gegen einen optischen Einheitsbrei. Man ist ihn leid, den Alltags-Airbag, der in jeder Hinsicht vorsorgt.
So, wie die Autos aktuell gebaut werden, scheint sich die Politik den Menschen zu wünschen. Immer mit dem Bremsassistenten auf der Hut, im rechten Moment die Reissleine zu ziehen. Risikolos. Und doch fliehen die Oldtimer-Enthusiasten nicht in die „gute, alte Zeit“. Natürlich war es weit mehr physischer Aufwand, ein altes Auto sicher vom Punkt A zum Punkt B zu steuern. Und die alten Fahrzeuge hatten ein Gesicht. Fast wie das des Menschen: nämlich sehr unterschiedlich.
Der Body und das Face liessen auf Anhieb zu, das entgegenkommende Fahrzeug zu erkennen. Heute mutiert das oft zur Mission Impossible. Und doch fliehen die Fans der Oldtimer nicht in die Vergangenheit. Sie wollen vielmehr eine andere Zukunft ihrer Lieblinge. Sie wollen den Autos und Zweirädern wieder ein eigenes Gesicht verliehen sehen.
Wird die Vergangenheit die neue Zukunft?
Wurden diese Exoten, die Fans der Oldtimer, bisher von Autoherstellern eher belächelt, nimmt man sie heute immer ernster. Die Rebellen aus Frankreich beispielsweise freuen sich über den Support von BMW, gerade weil die alten Maschinen mit Boxermotor aus München dort einen hohen Stellenwert haben. Das Alte nicht aus den Augen zu verlieren ist nicht gleichzusetzen mit starrer Pflege von Traditionen oder gar Rückwärtsgewandtheit. Schaut man sich auf den Parkplätzen der angesagten Designer um, findet man immer häufiger Classic Cars oder ihre Zeitgenossen auf zwei Rädern.
Das, was man in seinen Jugendjahren erlebt und gesehen hat, wird umgesetzt. Träume von früher werden Realität. Die Vergangenheit kann für eine bessere Zukunft stehen. Gerade die Vintage-Car-Freunde stehen gegen den Trend, dass das Leben zu einem überdimensionalen Sofa wird, auf dem der BMI berechnet wird und wo die Selbstzufriedenheit den höchsten Stellenwert hat. Und wer ganz genau darauf achtet, wird immer häufiger sehen, dass junge Menschen in den Fahrzeugen sitzen, die 25 Jahre und mehr auf dem Buckel haben. Ist das alte Auto das Auto der Zukunft? Nicht immer, aber sicher immer öfter.
Oberstes Bild: Siata Daina Gran Sport, Triumph TR2 und andere Classic Cars während des Historic Car Race im April 2014 in Castrezzato (Bild: Roberto Cerruti / Shutterstock.com)