Verkehrssicherheit oder Abzocke? Bussen-Wahnsinn hört nicht auf
Die Bussen für Temposünder sind ein Dauerbrenner in der Schweiz. „Erhöhung der Verkehrssicherheit“ sagen die einen, „Abzocke“ die anderen.
Fest steht: Die Bussen-Einnahmen der meisten Kantone sind gestiegen, die Anzahl der Verkehrstoten gesunken. Wer hat nun Recht?
Zunächst einmal zu den Fakten. Für 2015 haben die Kantone zusammen 250 Millionen Franken für Einnahmen aus Verkehrsbussen budgetiert. Im Vergleich zu 2014 erhöhten 11 Kantone ihre Budget-Erwartungen, gemessen an 2013 sogar 18. In acht Kantonen bleibt das Niveau gleich, nur vier senken ihre Vorgaben. Besonders krass zeigt sich die Entwicklung im Kanton St. Gallen: Dort stiegen die Erträge 2014 innert eines Jahres um 60 Prozent. Im Kanton Zürich haben die Einwohner sowieso schon lange das gut belegbare Gefühl, an jeder Ecke stehe ein Blitz.
Wohlgemerkt handelt es sich hierbei um die Vorgaben. Wie die tatsächlichen Einnahmen aussehen, lässt sich oft nur schwer rekonstruieren. Im März kursierte die inoffizielle Zahl von 650 Millionen Franken, was fast dem kompletten Haushalt des Kantons Schaffhausen entsprechen würde!
Ganz schön viel – sagt aber noch nichts über das Zustandekommen der Zahlen und auch nichts über Sinn und Zweck der Radarkontrollen aus. Verkehrsbussen bestehen nicht ausschliesslich, aber grösstenteils aus Geschwindigkeitskontrollen. Wie aber kommt es nun zu den teils massiven Anstiegen?
Mehr Blitze, mehr Verkehr, weniger Toleranzen
Zum einen verweisen die Kantone auf zusätzliche Radargeräte, wie etwa die Kantonspolizei St. Gallen. Zum anderen sei die Toleranz von 5 auf 3 km/h heruntergesetzt worden, wie es von der Polizei Baselland verlautet. Auch das erhöhte Verkehrsaufkommen wird verantwortlich gemacht. „Im Kanton Thurgau nimmt der Verkehr jedes Jahr um 1,5 Prozent zu, die Zahl der gemeldeten Motorfahrzeuge sogar um 2,5 Prozent“ erklärt die Kantonspolizei Thurgau.
Gegen den Vorwurf der Abzocke wehren sich die Kantone. Man habe keinen politischen Auftrag, die Staatskassen durch Busseneinnahmen aufzubessern, heisst es aus der Zuger Sicherheitsdirektion. Man müsse einfach den Bussenertrag aufgrund der Erfahrungen möglichst realistisch budgetieren.
Oberster Polizist verstrickt sich in Widersprüche
Auch Hans-Jürg Käser, seines Zeichens Präsident der Polizeidirektoren-Konferenz der Kantone, steht hinter der Bussen-Politik. In einem Interview Ende vergangenen Jahres sagte er, die Verkehrssicherheit sei das vorrangige Ziel der verstärkten Geschwindigkeitskontrollen, nicht die Füllung des Staatssäckels. Als Beleg führt er die Statistik an: 2013 sind auf Schweizer Strassen 269 Personen bei Unfällen gestorben, 2003 waren es doppelt so viele.
Dass Käser den Kantonspolizeien Rückendeckung gibt, verwundert nicht. Pikant ist aber, dass er noch einige Monate zuvor die Bussenpraxis der Behörden kritisiert und es für „problematisch“ erklärt hatte, wenn „man die Staatskasse mit übermässigen Busseneinnahmen optimieren“ wolle. Hatte er sich da vielleicht zu weit aus dem Fenster gelehnt wurde zwischenzeitlich wieder eingebremst?
Verkehrssicherheit ja, dann aber bitte richtig!
Der Beweggrund der Verkehrssicherheit ist natürlich uneingeschränkt zu befürworten. Jeder Verkehrstote ist einer zu viel! In diesem Zusammenhang ist auch die Herabsetzung der Toleranzen keine Schikane mehr: 55 km/h statt 50 bedeutet einen 4 Meter längeren Bremsweg – das kann über Leben und Tod entscheiden.
Doch wer sich ausschliesslich für Verkehrssicherheit interessiert, stellt die Radargeräte an neuralgischen Punkten auf. Und zwar dort, wo es viele Unfälle gibt bzw. gefährdete Personengruppen wie Kinder unterwegs sind. Doch neben den sinnvoll platzierten Blitzen gibt es eben auch eine Menge anderer, die so gar nicht ins Bild der selbstlosen Unfallverhütung passen. Zum Beispiel der Blitzer, der im Baselbieter Arlesheim in einem Industriegebiet mit 50er-Zone steht – angeschafft wurden die Geräte in dem Städtchen angeblich, um Tempo-30-Zonen besser zu kontrollieren. Oder, wie ein 20 Minuten-Leser schreibt: „Nun finde ich es aber völlig daneben, wenn zb. ein Blitz DIREKT vor einer 50-Aufgehoben-Tafel platziert wird (danach ist Tempo 80). Das ist dann nicht mehr nur Geldmacherei, da werden einige Leute den Lappen abgeben müssen…“
Die Positionierung der Geräte ist also entscheidend für die Frage, ob es sich bei den Kontrollen um Abzocke oder Unfallprävention handelt. Allein die Budgetierung der Busseneinnahmen aber deutet klar darauf hin, dass hier mit Einnahmen fest gerechnet wird, als handele es sich dabei um eine Steuer. Als „versteckte Steuer“ bezeichnete tatsächlich Sara Stalder von Stiftung für Konsumentenschutz die Bussen. Auch die behördliche Verwendung des Begriffes „Bussenertrag“ wirkt so, als werde hier mit Mehrwert für die Gesellschaft produziert und geerntet. Die Radarfalle als Melkmaschine, der Bürger als Melkvieh? Der Verdacht liegt mehr als nahe.
Oberstes Bild: © KPG_Payless – shutterstock.com