Fahren unter "Gegenwind"
VON Olaf Hoffmann Allgemein Auto
Spätestens dann, wenn die ersten Herbst- oder Frühlingsstürme wieder über das Land ziehen, wird so manchem Autofahrer bewusst, wie brenzlig und durchaus auch gefährlich das Autofahren bei starkem Wind sein kann. Selbst dann, wenn moderne Fahrzeuge immer „windschlüpfriger“ gebaut werden, ist das zwar gut für den geringeren Kraftstoffverbrauch, hebt aber die physikalischen Gesetze nicht auf.
Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein
Zu diesen physikalischen Gesetzmässigkeiten gehört auch der Grundsatz „Wo ein Körper ist kann kein anderer ein“. In der Anwendung bedeutet das: Körper verdrängen einander. Das gilt auch für feste und gasförmige Körper, sofern wir das Auto und den Wind als Körper verstehen wollen. Entweder verdrängt das Auto den Wind oder der Wind verdrängt das Auto. Hier kommt es darauf an, welche Kräfte auf welche Widerstände wirken.
Im Normalfall überwindet ein fahrendes Kraftfahrzeug den Widerstand der Luft und damit auch eines normalen Windes ohne grössere Probleme. Gewinnt der Wind jedoch aufgrund eines Sturmes mit hohen Windgeschwindigkeiten an Kraft, kann das auch für das Fahrzeug ein echtes Problem werden. Bei Gegenwind steigt der Luftwiderstandswert. Damit müssen zum Fahren grössere Kräfte aufgebracht werden, die sich auf den Kraftstoffverbrauch auswirken.
Haben wir hingegen starken Rückenwind, so treibt dieser das Fahrzeug zusätzlich an, im Ernstfall werden höhere Bremskräfte zum „Entschleunigen“ notwendig werden.
Richtig brenzlig kann es werden, wenn starke Seitenwinde auftreten. Dann kann das Fahrzeug mehr oder minder abrupt regelrecht aus der Spur gedrückt werden, mit nicht immer ungefährlichen Folgen für den Fahrer selbst und andere Verkehrsteilnehmer. Besonders tückisch sind plötzlich auftretende aber abreissende Winde von der Seite. Der Überraschungseffekt bleibt hier meist auf der Seite des Windes.
Wo treten plötzliche Seitenwinde auf?
Besonders häufig sind starke Seitenwinde auf Brücken oder auf Bergpassagen und in flachen Landschaften zu beobachten. Plötzlich wird das Fahrzeug seitlich in eine Richtung gedrückt und nur moderates Gegenlenken kann diesem Druck einen entsprechenden Widerstand entgegensetzen. Erfolgt diese Reaktion nicht, wird das Fahrzeug aus der Spur geschoben und unter ungünstigen Umständen sogar in den Gegenverkehr oder von der Fahrband gedrängt. Die Unfallgefahr steigt immens.
Auf der anderen Seite kann auch das Abreissen stabil starker Winde zur Gefahr werden. So kann beispielsweise beim Überholen eines grösseren Fahrzeuges der starke Luftstrom plötzlich abreissen. Was eben noch als moderates Gegenlenken funktionierte, kehrt sich jetzt ins Gegenteil um. Da der seitliche Widerstand des Windes plötzlich fehlt, fahren wir in genau die Richtung, die bislang dem Gegenlenken diente. Wird nicht rechtzeitig reagiert, droht auch hier der Unfall.
Vorsicht vor hoher Geschwindigkeit
Potenzieren sich Windgeschwindigkeit und Fahrgeschwindigkeit überproportional zur Bodenhaftung des Fahrzeuges, kann ein Auto schnell auch einmal „aufschwimmen“ und den sicheren Bodenkontakt verlieren. Gerade dann, wenn starker Wind von vorn oder von der Seite gewissermassen unter das Fahrzeug greift, erhöht sich damit die Gefahr der Unlenkbarkeit des Autos. Wir heben vielleicht nicht ganz, aber gefühlt ab und das Fahrzeug wird zunehmend schwerer steuerbar. Das ist häufig vor allem bei relativ leichten Kleinwagen zu beobachten. Hier sollte darauf geachtet werden, dass bei zunehmendem stürmischen Wind eine eher zurückhaltende Fahrweise mit entsprechend geringeren Fahrgeschwindigkeiten bevorzugt wird.
Achtung Transporter, Anhänger, Lkw und Campingmobile
Bei diesen Fahrzeugen ist die Angriffsfläche für den Wind im Vergleich zu normalen PKW verhältnismässig gross. Damit gewinnt der Wind an Angriffsfläche, die Gefahren potenzieren sich überproportional. Daher neigen auch hohe Fahrzeuge mit grossen Seitenflächen schneller zum Ausbrechen aus der Spur oder sogar zum Umkippen. Eine entsprechend umsichtige Fahrweise ist daher für ungeübte Fahrer immer empfehlenswert, im Extremfall sollten solche Fahrzeuge sogar an windgeschützten Stellen abgestellt werden. Nicht selten besteht bei starken Stürmen für LKW, Transporter und andere grossflächige Fahrzeuge bei stürmischem Wind auf Brücken oder anderen gefährdeten Strassenabschnitten sogar Fahrverbot.
Was lässt sich tun
Wenn starke oder böige Winde zu erwarten sind, muss grundsätzlich die Fahrweise darauf abgestimmt werden. Niedrigere Geschwindigkeiten sind hier genauso empfehlenswert wie besondere Vorsicht beim Vorbeifahren an grösseren Fahrzeugen, Gebäuden oder kurzzeitig schützenden Böschungen und so weiter. Besonders bei Spurwechseln oder starken Kurven ist der Wechsel der Einwirkungen des Windes zu beachten.
Oftmals sind an Bücken und ähnlichen Strassenabschnitten die rotweissen Windsäcke aufgestellt. Hier lässt sich relativ leicht erkennen, aus welcher Richtung und in welcher Intensität der Wind bläst. Entsprechend lässt sich das Fahrverhalten einrichten.
Besondere Vorsicht gilt in der Kombination von Starkwind und Regen. Hier können sich die Wirkungen von Aquaplaning und Wind zu einem gefährlichen Gemisch ungünstiger Witterungsbedingungen aufrechnen. Die Unfallgefahr steigt.
Die beste Versicherung gegen die Unfallgefahren bei Starkwind ist eine moderate und vorausschauende Fahrweise, bevorzugt bei niedrigeren Geschwindigkeiten. Auch modernste Fahrzeuge mit ESP, Seitenwindstabilisator und allerlei anderen Fahrassistenten können eben physikalische Gesetzmässigkeiten nicht aufheben.
Oberstes Bild: Fahren bei Sturm birgt oftmals unterschätzte Gefahren. (© Bikeworldtravel / Shutterstock.com)