Ambitionierte Ziele: Hyundai will in die Oberklasse
VON Robert Schumann Auto Hyundai
Der Grund dafür ist einfach: Ob nun ein Kleinwagen oder ein Oberklasseauto montiert wird, der Arbeitsaufwand ist fast der gleiche. Die Rendite zwischen Aufwand und Ertrag steigt deshalb stetig mit der Klasse des Autos an. Es ist also verständlich, dass jeder Hersteller bestrebt ist, in dieser Klasse Autos anbieten zu können.
Das Problem ist nur, dass in diesen Sphären die Luft ziemlich dünn ist. Die deutschen Platzhirsche haben eine dermassen robuste Marktmacht, dass sie nach aussen wie eine uneinnehmbare Trutzburg wirkt. Die internationale Definition von Premium ist Mercedes, Audi, BMW, und damit basta. Selbst Jaguar musste diesen Olymp verlassen, und die US-amerikanischen Versuche in dieser Klasse werden ausserhalb der eigenen Landesgrenzen nirgendwo ernst genommen.
Toyota leistet sich mit seiner Lexus-Flotte zwar trotzig einen eigenen Platz in der Welt der Oberklasse-Limousinen. Dennoch können sie nach wie vor kaum etwas gegen die teutonische Konkurrenz ausrichten. Nun versuchen es mal wieder ausgerechnet die Koreaner.
Das kleine, an Innovationskraft und Bienenfleiss den Japanern in nichts nachstehende südostasiatische Volk, hat bereits einige Versuche in dieser Klasse hervorgebracht. Zuletzt war es der Kia Opirus, welcher mit interessanten Leistungen, einem noch interessanteren Preis, aber mit einem Design zum Grausen einen Versuch in dieser Liga wagte. Nun ja, billiger als mit einem gebrauchten Opirus ist der Duft der Oberklasse gegenwärtig nicht zu geniessen. Aber mehr ist zu diesem Schuss in den Ofen auch nicht zu sagen.
Mit dem Trotz des Unbelehrbaren starten also die Koreaner nun wieder einen Angriff auf das germanische Establishment. Er geht diesmal vom koreanischen Marktführer Hyundai aus und trägt den klangvollen Namen „Genesis“.
Auf den ersten Blick scheinen sie ihre Lektion gelernt zu haben. Fernab der Skurrilität eines „Opirus“ fällt der Genesis vor allem durch seine Unauffälligkeit auf. Nach dem Motto „Bloss nichts falsch machen“ wurde beim Design auf Experimente und ästhetische Freiversuche konsequent verzichtet. Das ist für einen koreanischen Autobauer durchaus als Fortschritt zu werten. Erinnert man sich an die geschmacksverfehlten Designversuche des SUV-Herstellers SSANGYONG, dann scheint beim Anblick des Genesis tatsächlich ein Fortschritt feststellbar zu sein.
Doch wer nichts falsch macht, macht noch lange nicht alles richtig. In schierer Panik, sich wieder ein unfreiwillig komisches Auto heranzuzeichnen, wurde der „Lieber auf Nummer sicher gehen“-Gedanke beim Genesis doch reichlich weit getrieben. Es wurde kopiert. Und zwar in der typisch dreisten asiatischen Weise, an die man sich im Westen partout nicht gewöhnen will.
Zugegeben, kopiert ist nicht geklont. Der Genesis ist immer noch weit von dem entfernt, was sich manche chinesischen Firmen mit ihren 1:1-Derivaten erlauben. Dennoch ist quasi jedem Designelement abzulesen, woher seine Vorlage entnommen wurde.
Eine reichlich an die Audi-Familie erinnernde Front und ein ebenso offenbar dem BMW-Regal entnommenes Heck bilden den Rahmen des Genesis. Im Profil ist er irgendwo zwischen Jaguar und Mercedes verortet. Puristen, Enthusiasten und Leute, welche ein wenig von Autos verstehen, werden auch bei diesem ambitionierten Versuch die Nase rümpfen. Dennoch macht der Genesis für Unbedarfte absolut keine schlechte Figur. Im asiatischen Raum ist das Nachahmen und Kopieren ein Zeichen von Respekt und Anerkennung – im Westen jedoch ein deutliches Indiz mangelnder Kompetenz und Kreativität. Dieses kulturelle Missverständnis zwischen dem Westen und dem Osten wird wohl noch lange Bestand haben. Darum ist „Pfui, du Nachahmer!“ hierzulande die spontane Reaktion auf den Genesis.
Aber sei´s drum. Die Koreaner muss dies nicht scheren, denn die projektierten Märkte für Hyundai liegen in den USA und in China. Dort schliesst der Genesis eine Lücke zwischen genau den benannten Marken und kann dem Ruf nach Vielfalt und Auswahl nun auch in dieser Klasse gerecht werden.
Technisch ist der Genesis auf jeden Fall über alle Zweifel erhaben. Maximal 315 PS, V6-Maschine und ein Kessel Buntes an elektronischen Helferlein machen den Wagen zu einer Alternative für Leute, die sich vom benannten Establishment abgrenzen möchten. Head-up-Display, Totwinkel-Warner, automatisches Notbremssystem mit Spurhalteassistent, radargesteuerter Abstandstempomat … diese Liste liesse sich endlos fortsetzen. Eine perfekte Gewichtsverteilung von 51 zu 48 sind ein deutliches Zeichen dafür, dass hier auch echte Ingenieure am Werk waren. Der Genesis ist mehr als eine gefällige Hülle, die einfach mit allem, was das Zubehörregal herzugeben hatte, vollgestopft wurde. Hier wurde Schmalz und Schmackes eingesetzt, und das ist auch gut so.
Spätestens aber beim Preis sollten die Fans teutonischer Automobilkunst ins Grübeln kommen. In den USA startet der Genesis mit 40’000 Dollar, also knappen 36’000 Franken. Das sind mal ein Drittel dessen, was man für ein germanisches Konkurrenzmodell zu berappen hat – oder dessen Wertverlust im ersten Jahr. Wem es also aufs Fahren und nicht auf Stern, Niere oder Ringe ankommt, der kann mit dem Genesis eine echte Überraschung erleben.
Oberstes Bild: Der Hyundai Genesis ist auf den ersten Blick eine Kopie, auf den zweiten eine Überraschung. (© Max Earey / Shutterstock.com)