VW Passat: Der Musterknabe, der nach Höherem strebt
VON Koray Adigüzel Auto
VW versucht anscheinend das Beste aus zwei Welten zu bieten: Einen günstigen Basispreis auf der einen Seite und ein hochwertiges Auto, das fast schon in die nächsthöhere Klasse gehört, auf der anderen Seite. Wo mag da wohl der Haken sein?
Der Haken liegt natürlich beim Preis. Klar ist der Passat Variant ab 31’900 Franken einigermassen günstig erhältlich, aber was da zum Test angetreten ist, ist schlicht und einfach nicht mehr mit dem angepriesenen Basisauto zu vergleichen.
Das getestete Rundum-Sorglos-Paket im Wert von 73’440 Franken kratzt schon ziemlich an der oberen Grenze dessen, was man alles in den Passat reinstopfen kann. Wobei, so sorglos ist man auch mit dem Topmodell nicht unterwegs.
Optional kann der Passat nämlich mit Assistenzsystemen vollgestopft werden, dass die Liste wohl bald eine DIN A4-Seite sprengen würde.
Teilautonomes Fahren auf der Autobahn und im Stau ist grundsätzlich möglich, solange die Hände am Lenkrad sind. Wer es will, kann es haben und wer es nicht will, spart ein paar Tausender. Soweit, so gut.
Was mir im Passat gefehlt hat, ist die Möglichkeit, die Empfindlichkeit der Assistenzarmada einzustellen. Der Notbremsassistent schiebt viel zu früh Panik und nervt mit einem aufdringlichen Piepsen. Der Tot-Winkel-Warner ist schon/noch (links/rechts) aktiv, obwohl das Fahrzeug schräg hinten weit entfernt ist. Assistenzsysteme können tatsächlich einen Unfall verhindern. Aber bitte nicht solche übervorsichtige Helferchen wie im Passat, weil dann wird es schnell nervig, sprich, das Zeugs wird deaktiviert.
Und sonst? Tja, ansonsten ist der Passat wahrscheinlich der neue Massstab seiner Klasse. Über das Design möchte ich nicht allzu viele Worte verlieren, es ist halt typisch VW. Solide und unaufgeregt, dafür stimmig. Von vorne wirkt das Auto optisch breiter als es ist, und auch hinten wird es durch die breiten Auspuffblenden optisch in die Breite gezogen. Wer sich aber ein bisschen bückt, stellt fest, dass die Auspuffblenden nur Show sind und die zwei wahren Auspuffröhrchen sich dahinter verstecken.
Wer sich daran nicht stört (wer sollte sich schon daran stören …) erhält mit dem Passat ein Auto, das bis auf ein paar übereifrige Assistenzsysteme mehr als ausgereift ist. Der Innenraum ist hochwertig, die Ergonomie ist perfekt. Die Platzverhältnisse sind üppig, die Ablagemöglichkeiten zahlreich und gross. Die Bedienung ist kinderleicht, das Android-Smartphone lässt sich dank MirrorLink-Technologie am Infotainmentsystem spiegeln.
Als Fahrer erfreut man sich an den bequemen Sitzen mit Memoryfunktion, Massage, Heizung und Lüftung. Braucht man mehr? Nein. Will man mehr? Wohl kaum. Auch innen wird das Auto durch das durchgehende Lüftungsband optisch in die Breite gezogen. Hier ging das Design allerdings deutlich vor, denn das Lüftungsband ist ein Staubfänger und obendrein spiegelt es teilweise in der Seitenscheibe genau dort, wo man in den Aussenspiegel guckt, was mühsam sein kann.
Im Testwagen knarzte zudem das Gepäckraumrollo fröhlich vor sich hin, weil es nicht in der zugezogenen Position blieb. Möglicherweise lag das aber am Auto, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein gravierender Mangel bei Volkswagen in Serie geht …
Auch unter der Haube bleiben im Testwagen keine Wünsche offen. Der an der Heckklappe ganz unscheinbar als TDI bezeichnete Motor hat es nämlich faustdick hinter den Ohren.
Der TDI ist in Wirklichkeit nämlich ein Biturbo-Diesel, der locker 500 Nm auf alle vier Räder loslässt und 240 PS Leistung generiert. Ein richtiger Schiffsdiesel.
Nach einer kleinen Anfahrschwäche durch das DSG schiebt der mächtige Selbstzünder an, als müsste er sich nicht um Roll- und Luftwiderstände kümmern. Mal eben ab 120 km/h stark beschleunigen? Kein Problem. Der Passat schiebt an, als würde man aus dem Dorf beschleunigen.
Dabei klingt der Passat innen sogar ziemlich gut, denn die Geräuschdämmung ist sehr stark und ein Sound Symposer erzeugt einen ganz dezenten, kernigen Ton. Von aussen nagelt der Diesel natürlich fröhlich vor sich hin, Wunder können sie auch bei VW keine vollbringen.
Man kann aber ganz klar behaupten, dass der Passat mit diesem Motor übermotorisiert ist. Wer gerne auf der deutschen Autobahn herumdonnert, bitte sehr. In der Schweiz ist dieser Motor eher zu viel des Guten. Wer das adaptive Fahrwerk DCC ordert, bekommt zusätzlich eine Auswahl der Fahrmodi Normal, Comfort, Eco, Sport und Individual.
Im Sportmodus strafft sich der Passat ziemlich und insbesondere im Zusammenspiel mit dem Schiffsdiesel dürfte mancher Hot Hatch ziemlich nervös werden, sobald der Biturbo-Passat im Rückspiegel aufkreuzt. Erst wenn die Kurven sehr eng werden, hat der Passat aufgrund seines Gewichts das Nachsehen.
SportlichePassagen sind überhaupt kein Problem, eine Sänfte wird der Passat jedoch auch im Comfort Modus nicht, denn er federt selbst dann noch eine Spur zu holprig.
Im Individual Modus lassen sich alle Parameter nach persönlichem Gusto einstellen, wobei ich leider nicht die Gelegenheit hatte zu testen, wie das adaptive LED-Licht reagiert, wenn man es auf «Sport» einstellt. Sportliches Kurvenlicht, also wirklich, Sachen gibt’s …
Die Frage lautet sowieso eher: Was gibt es im Passat nicht? Beispielsweise die Hot Stone-Massage aus der Mercedes S-Klasse. Spass bei Seite. Was ich damit sagen möchte, ist, dass den Wünschen der potentiellen Kundschaft praktisch keine Grenzen gesetzt sind. Lediglich, wer unbedingt mehr als vier Zylinder unter der Haube will, wird mit dem Passat nicht glücklich, denn das Leistungsspektrum endet beim 240 PS-Biturbo-Diesel, respektive beim 280 PS-Turbobenziner.
Fazit
VW bietet mit dem Passat sowohl ein vielseitiges als auch ein technisch fortschrittliches Auto an. Ich bin mir durchaus bewusst, dass dieser Satz auch aus einem Werbeprospekt stammen könnte und ich würde ihn niemals verwenden, wenn ich selber nicht zu 100 % vom Produkt überzeugt wäre. Man kann dem Passat die eine oder andere Kleinigkeit ankreiden, logisch. Aber das Gesamtpaket ist ein Argument, an dem sich die Konkurrenz wahrscheinlich die Zähne ausbeissen wird.
Alle Bilder: © Koray Adigüzel
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