Mercedes steigt beim italienischen Motorradhersteller MV Agusta ein

Im Oktober 2014 wurde bekannt, dass der deutsche Autohersteller Daimler über seine Tochter AMG bei der italienischen Motorradschmiede MV Agusta einsteigen wird. Auf den ersten Blick mag dieser Deal etwas ungewöhnlich wirken.

Der Grossproduzent aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart verkauft pro Jahr immerhin rund eineinhalb Millionen Autos weltweit, während der Absatz von MV Agusta zuletzt etwa bei bescheidenen 7’500 Motorrädern pro Jahr lag. Wenn man genauer hinschaut, macht der Einstieg allerdings Sinn.

Denn die schärfsten Wettbewerber von Mercedes sind schon einen Schritt weiter. Konkurrent Audi hat sich vor einiger Zeit die italienische Marke Ducati einverleibt, der andere grosse Konkurrent BMW hat eine eigene, lange Tradition als Motorradhersteller und kann seit Jahren sehr positive Ergebnisse in dieser Sparte vermelden. Mit der Beteiligung bei MV Agusta stösst Mercedes nun auch in dieses Segment vor – und dürfte auf lange Sicht vom Know-how der Italiener profitieren. Das Interesse der Stuttgarter an dem Zweiradbauer war schon länger bekannt. Erste Berichte in den Medien gab es bereits im Juli 2014. Seit Ende Oktober ist es nun offiziell: Über die Mercedes-Tochter AMG wird der Konzern 25 Prozent der Anteile übernehmen, der Rest bleibt im Besitz der Familie Castiglioni. Eine stärkere Beteiligung in der Zukunft wird aber nicht ausgeschlossen.

Als eigenständige Firma produziert MV Agusta seit 1945 Motorräder. Vorher gehörte die Abteilung zum Flugzeughersteller Agusta, wo ab 1927 auch Zweiräder entstanden. Das Unternehmen mit Sitz im lombardischen Varese blickt auf eine wechselvolle, aber auch sehr erfolgreiche Geschichte zurück. Im Rennsport zum Beispiel sicherte sich MV Agusta insgesamt 37 Konstrukteurs- und 38 Fahrer-Weltmeisterschaften. Heute sind vor allem Maschinen mit martialischen Namen wie „Brutale“ oder „Rivale“ ein Begriff unter Bikern.

Die italienische Motorradschmiede kann das Geld aus Deutschland sicherlich gut gebrauchen. Es ist noch nicht sehr lange her, da war MV Agusta mehr oder weniger ein Sanierungsfall. Im Jahr 2008 übernahm Harley-Davidson das Unternehmen, geriet dann aber selbst in grosse Schwierigkeiten, so dass die Familie Castiglioni zwei Jahre später die Marke zurückkaufte. Seitdem hat die Edelschmiede ihre Angebotspalette um einige Modelle mit Drei-Zylinder-Motoren erweitert, die in der deutlich absatzstärkeren Mittelklasse Umsatz machen sollen. Aber das kostet viel Geld – in der Produktion, im Marketing und im Vertrieb.


Als eigenständige Firma produziert MV Agusta seit 1945 Motorräder. (Bild: © StealthFX)

Mit der jetzt erfolgten Beteiligung von Daimler soll deshalb unter anderem verstärkt in die Produktentwicklung und ins Marketing investiert werden. Für eine erfolgreiche Expansion dürfte aber vor allem auch das weltweit engmaschige Vertriebsnetz von Mercedes hilfreich sein, denn kleine, aber feine Marken wie MV Agusta verfügen in der Regel nur über eine recht dürftige Händlerkette. Mit dem Deal stehen den Italienern Märkte wie Asien oder die USA über den Mercedes-Vertrieb weit offen – schneller und kostengünstiger wäre in diesen Regionen eine Erfolg versprechende Präsenz nicht aufzubauen.

Es ist bei genauem Hinsehen auch nicht verwunderlich, dass Mercedes das Geschäft über die hauseigene AMG abgewickelt hat. Das sportliche und aggressive Image der italienischen Marke passt hervorragend zu AMG, zumal beide Firmen erfolgreich im Motorsport mitmischen. Experten der Branche gehen davon aus, dass Daimler seine Tochter AMG mehr und mehr zu einer eigenständigen Marke entwickeln will. Als Beispiel mag die Vorstellung des Sportwagens GT auf dem Pariser Autosalon dienen, der auf dem Mercedes SLS basiert und vor allem Porsche Konkurrenz machen soll.

AMG und MV Agusta können durchaus einen gemeinsamen Vertrieb aufziehen und auch im Marketing kooperieren, denn die Kundschaft überschneidet sich zu einem guten Teil. Zudem können die Italiener mit ihren Drei-Zylinder-Motoren auch technisches Know-how bei Daimler einbringen, denn Aggregate dieser Art eignen sich gut für Elektroautos und Hybride, um die Reichweite zu verlängern.

BMW hat dies mit seinem i3 vorgemacht. Dessen Version mit Range Extender ist mit einem solch kleinen Verbrennungsmotor ausgestattet – und dieser wiederum stammt aus der Motorradsparte des bayerischen Herstellers. Audi ist bisher noch nicht soweit. Allerdings hat der Mutterkonzern VW auf dem Pariser Autosalon die Fachwelt mit dem XL Sport überrascht, einer Weiterentwicklung des hypersparsamen XL1. Unter seiner Haube arbeitet als Zusatzaggregat ein Ducati-Motor mit 200 PS. Die Studie war vielleicht nicht mehr als eine Spielerei, deutet aber an, dass auch die Wolfsburger über eine Fusion von Automobil- und Motorradtechnik nachdenken. Man darf gespannt sein, was Mercedes bzw. AMG zusammen mit MV Agusta in der Zukunft auf die Räder stellt.

 

Oberstes Bild: © StealthFX

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hat Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und ist zusätzlich ausgebildeter Mediendesigner im Segment Druck. Er schreibt seit über 30 Jahren belletristische Texte und seit rund zwei Jahrzehnten für Auftraggeber aus den unterschiedlichsten Branchen.

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