Elektrisch on tour – wie gut ist das Schweizer Ladestellennetz?

Mit einem Elektroauto auf längere Tour ist dies in der Schweiz möglich? Mit welchen Problemen muss man rechnen, wie plant man einen längeren Ausflug? Ein Selbstversuch unter nicht optimalen Bedingungen.

Die Wetterprognosen sind eisig: Auf bis zu -9° Celsius sinkt das Thermometer. Es gibt definitiv bessere Bedingungen, um mit einem Elektroauto auf längere Tour zu gehen, um herauszufinden, wie der Stand der Elektromobilität in der Schweiz ist.

Bei tiefen Temperaturen verfügt der Akku nämlich nicht über seine volle Kapazität und Winterreifen erhöhen den Rollwiderstand – beide Faktoren kosten wertvolle Kilometer Autonomie. Das Ziel meiner Tour: Linthal – Bern und zurück, möglichst in einer Art Rundkurs, also nicht auf dem gleichen Weg zurück, um es spannender zu gestalten. Jetzt hat man zwei Varianten. Variante 1: Man fährt auf gut Glück los und kümmert sich unterwegs um das Auffinden einer geeigneten Lademöglichkeit. Wer gerne Adrenalinschübe erfährt und sich nur in Stresssituationen wohlfühlt und klar denken kann – bitte sehr.

Empfehlenswerter ist meines Erachtens Variante 2: Man checkt auf den Ladeverzeichnissen lemnet.org sowie de.chargemap.com am Abend zuvor, wo man unterwegs laden kann. Lemnet eigent sich besser, um beispielsweise schweizweit nach dem passenden Anschluss zu suchen, während man auf Chargemap detaillierte Informationen für jede Lademöglichkeit findet. Mit Hilfe der so gewonnenen Informationen lege ich meine Route fest: von Linthal zur Umweltarena in Spreitenbach, dann zur AMAG in Bern und schliesslich durchs Emmental zur AMAG in Zug und von dort aus dann wieder nach Hause. Pro Etappe liegen maximal 111 Kilometer dazwischen, das sollte auch im Winter machbar sein. Etwas Abenteuerliches bekommt die Tour dadurch, dass die Route durchs Emmental eine absolute Durststrecke ist – es besteht keinerlei Lademöglichkeit für den Notfall. Auf dem Papier scheint mir der Plan perfekt, aber ob er sich auch auf der Strasse bewähren wird…?


Die geplante Route. (Bild: © Koray Adigüzel)

Als ich morgens einsteige, ist das Auto, ein Kia Soul EV, bereits schön vorgeheizt, da ich die Heizung ab Abend zuvor vorprogrammiert habe. Es hat eben schon seine Vorzüge, ein Elektroauto. Gemäss Norm sollte der Soul EV satte 212 Kilometer weit kommen, aber der Bordcomputer meldet gerade einmal 127 Kilometer Reichweite. Bei einem konventionell angetriebenen Auto würde man angesichts dieser Reichweite wohl bald die nächste Tankstelle ansteuern. Die Dimensionen verändern sich eben drastisch, sobald man mit einem Elektroauto unterwegs ist. Trotzdem, der erste Stopp, die 104 Kilometer entfernte Umweltarena in Spreitenbach, wird ohne Probleme zu erreichen sein, auch mit Tempo 120 auf der Autobahn. Ich fahre in Linthal, dem hintersten Ende des Kantons Glarus, ab und verliere trotz eingeschalteter Heizung nur wenige Kilometer Reichweite. Der Grund: Es geht die ersten 20 Kilometer langsam, aber stetig bergab, ich verliere rund 220 Höhenmeter. Eine Tatsache, die in einem Auto mit Verbrennungsmotor weder interessiert, noch spürbar ist. In einem Elektroauto sieht das ganz anders aus. Da das Auto häufig rekuperiert und somit ständig Strom zurückgewinnt, geht nur wenig Reichweite verloren.


Kilometeranzeige (Bild: © Koray Adigüzel)

Das ändert sich auf der Autobahn schlagartig. Da der Luftwiderstand ab Tempo 100 exponentiell ansteigt, schmilzt die Reichweite schnell dahin, wenn man mit 120 km/h oder noch mehr dahinbraust. Wenn man sich absolut sicher ist, das Ziel zu erreichen, kann man mit einem Elektroauto natürlich problemlos schnell unterwegs sein. Mit rund 30% Restladung erreiche ich die Umweltarena und kann den Kia direkt vor dem Haupteingang an der Schnellladesäule (CHAdeMO) anschliessen. Sowohl der Parkplatz, als auch der Strom sind kostenlos. Aber Achtung: Wie an vielen anderen Orten auch, ist meistens nur ein CHAdeMO-Anschluss verfügbar – ist der besetzt, steht man unter Umständen ganz schön blöd da, vor allem, wenn die Restladung nicht ausreicht, um zur nächsten Ladesäule zu fahren. Wenn man sich also nicht absolut sicher ist, dass der Platz frei ist, sollte man immer eine Reserve mit einkalkulieren.


Schnellladesäule an der Umweltarena (Bild: © Koray Adigüzel)

Nach dem Besuch der Umweltarena wird mir die nächste Tatsache bewusst: Da sich der Akku bei der Schnellladung stark erwärmt, wird nur bis zu 83% geladen. Es bleiben somit noch knapp 100 Kilometer Reichweite – gemäss Navi zu wenig, um bis nach Bern zu fahren. Ich versuche es trotzdem, indem ich über Land fahre und die stromfressende Autobahn vermeide. Trotzdem, die Reichweite bleibt stets unter den noch zu fahrenden Kilometern, so dass ich sicherheitshalber einen Zusatzstopp in Oftringen einlege, um kurz 20 Minuten Strom zu «tanken». Währenddessen wird mir klar, dass mir die Heimreise via Emmental definitiv zu riskant ist, da ich in Bern wieder nur mit 83% Ladung starten kann. Anyway, dank meines Zusatzstopps erreiche ich sicher die AMAG in Bern und kann dort den Kia an der einzig verfügbaren CHAdeMO-Säule wieder aufladen. Noch während des Weglaufens beobachte ich, wie mir ein Strolch das Kabel ausstecken will, um sein eigenes E-Auto zu laden. Dummerweise scheitert er kläglich, da mit dem Verriegeln des Autos gleichzeitig das Kabel verriegelt wird. Ein wichtiges Sicherheitsfeature, schliesslich wäre es alles andere als lustig, wenn man ins vermeintlich vollgeladene Auto sitzt und feststellt, dass nur ein Teil geladen worden ist.

Wie bereits nach dem Ladevorgang bei der Umweltarena, steht der Akku auch nach der Ladung in Bern bei 83%. Ich habe über das Chargemap App eine 50 kW-Ladestation (anstelle von 22 kW) entdeckt, welche innert einer halben Stunde (anstelle von einer ganzen Stunde) den Akku wieder auf 83% bringt. Von Urdorf aus sollte es dann auch ohne weiteren Halt bis nach Hause reichen. Aber erneut warnt mich das Navi beim Start, dass das programmierte Ziel ausserhalb der Reichweite liegt. Da ich bei der Hinfahrt überland keinen Strom sparen konnte, versuche ich es nun, indem ich konstant mit 85 km/h auf der Autobahn fahre. Möglicherweise ist dies effizienter als eine langsamere, aber ungleichmässige Fahrt über Landstrassen. Die verbleibenden Kilometer bis nach Urdorf werden immer weniger, aber nach wie vor reicht die verbleibende Reichweite nicht aus.


Mit 7% Restladung in Urdorf angekommen. (Bild: © Koray Adigüzel)

Ich fasse schon den Gedanken, rechts ranzufahren und eine alternative Ladestation aufzusuchen, als mich ein Sattelschlepper überholt. Dabei kommt mir die zündende Idee: Windschatten! Ich hefte mich also hinter den LKW, wobei ich den Sicherheitsabstand geflissentlich ignoriere, damit sich die Sogwirkung entfalten kann. Und siehe da! Die verbleibende Reichweite sinkt tatsächlich langsamer, bis ich bald einmal sogar mehr Reichweite, als verbliebene Kilometer bis nach Urdorf habe. Trotzdem ist es schlussendlich ziemlich eng geworden, denn die Ladestation in Urdorf habe ich mit 7% Restladung erreicht.

Der Bordcomputer konnte aufgrund des geringen Ladezustandes gar keine verlässliche Reichweite mehr prognostizieren, so dass im Kombiinstrument bloss noch eine gestrichelte Linie dargestellt wurde. Nach dem Ladestopp in Urdorf kann ich meine Heimreise fortsetzen. Zwar wieder nur mit 85 km/h auf der Autobahn, jedoch ohne Nutzung des Windschattens, erreiche ich sicher wieder meine heimische Garage. Ladezeit an einer gewöhnlichen Haushaltssteckdose: Geschlagene 16 Stunden.


Meldung im Bordcomputer (Bild: © Koray Adigüzel)

Fazit

Auf der Rückfahrt habe ich grundsätzlich das geschafft, was heutzutage möglich sein sollte: Das Zurücklegen einer über 200 Kilometer langen Strecke mit einem halbstündigen Ladestopp. Allerdings sollte es wesentlich reibungsloser vonstatten gehen als bei mir, nämlich mit normaler Geschwindigkeit und ohne Windschattenspiele. Auf meiner Tour habe ich gemerkt, dass der Radius eines Elektroautos im Winter wirklich stark zurückgeht. Im Sommer hätte ich die Tour sicher viel gemütlicher meistern können. Mir ist des Weiteren aufgefallen, dass auf der West-Ost Achse mittlerweile recht viele Lademöglichkeiten bestehen, was man von der Nord-Süd Achse (Gotthard) nicht behaupten kann. Dort fehlen einige Ladestationen. Auch in ländlichen Gegenden sind Lademöglichkeiten Mangelware.


gefahrene Route (Bild: © Koray Adigüzel)

Obwohl sich die Anzahl Schnellladestation in der Schweiz ständig erhöht, sind längere Touren nach wie vor mit einer mehr oder weniger aufwändigen Planung verbunden, je nach dem, wohin die Reise gehen soll. Dass es pro Standort meistens nur einen (CHAdeMO) oder zwei (Typ 2, auch bekannt als «Mennekes») Anschlüsse hat, (Ausnahme: Tesla Supercharger) kann ebenfalls problematisch sein, wenn die Ladesäulen besetzt oder ausser Betrieb sind und keine weiteren Anschlüsse in unmittelbarer Nähe sind. Mit Ausnahme von Teslas Limousine Model S sind Elektroautos nach wie vor ungeeignet, wenn man regelmässig längere Strecken zurücklegt. Ein grosser Pluspunkt hat die Elektromobilität aber dennoch: Auf meiner Tour habe ich keinen einzigen Rappen (!) für Strom- oder Parkingkosten ausgegeben. Dies ist der Lohn für die Mühen, die ich auf meiner Reise hatte.

 

Oberstes Bild: © Nikita Starichenko – shutterstock.com

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Mehr zu Koray Adigüzel

Koray Adigüzel aus Glarus, 22 Jahre jung, studiert an der HTW Chur Multimedia Production. Als absoluter Autonarr führt er einen Autoblog, wo er der Seele des Autos auf der Spur ist. Nach dem Studium wird er in den Autojournalismus einsteigen, auch, weil das Durchschnittsalter in der Branche dringend gesenkt werden muss. ;-)

Webseite: korayscarblog.ch

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