Car Connectivity – Revolution oder doch ein "alter Hut"?
VON Christian Erhardt Allgemein Auto
Staufahren ist das Horrorszenario für jeden Autofahrer. Gerade dann, wenn der Stau völlig unerwartet kommt und vom Verkehrsfunk eigentlich freie Fahrt gemeldet wurde. Dabei kann es so simpel sein, derartige Vorkommnisse zu umsteuern – dazu müssten nur die Pkw, die zuerst in den Stau fahren, den stockenden Verkehr oder den Stau mit Stillstand an eine „Sammelstelle“ melden. Technisch sollte das schon jetzt kein Problem mehr darstellen.
Nach dem Termin ist nicht selten vor dem Stau
Der Termin beim Kunden ist wunderbar gelaufen, das Business-Meeting vorüber und eigentlich wartet ein entspannter Abend auf den Fahrer. Ein Grund zur Freude – wäre da nicht die Rückfahrt vom Termin. Der Verkehrsfunk meldet von Zürich nach Zug freie Fahrt, doch bei Knonau kommt der Verkehr völlig zum Erliegen. Vollsperrung nach einem Unfall. Ein Grund, sich über den Verkehrsfunk zu beschweren? Nein, denn das Radio wurde von der Entwicklung überrascht, die Meldezeit dauerte zu lange.
Der wirtschaftliche Schaden, der durch Staus in der Schweiz entsteht, liegt bei rund 1,8 Milliarden Schweizer Franken. Dabei wäre es so einfach, die Kosten aktuell schon auf ein Sechstel pro Jahr zu drücken, würden die technischen Möglichkeiten konsequent genutzt. Das Fahrzeug wird vernetzt, via Internet werden die Daten anonym geliefert, gesammelt und ausgewertet. Sobald ein Pkw in einem Sektor, der als Autobahn ausgewiesen ist, zum Stillstand kommt, wird der Standort weitergeleitet und die Meldung an die anderen Pkw im Netz übermittelt. Schon ist das Navigationsgerät oder das Smartphone in der Lage, eine Ausweichroute zu berechnen.
Real-Time-Traffic-Informationen bei BMW
Was sich wie eine Vision der Zukunft anhört, ist zum Beispiel bei BMW gelebte Realität. So verfügen die Fahrzeuge aus München über eine ins Fahrzeug integrierte SIM-Karte, mit deren Hilfe Real-Time-Traffic-Informationen generiert werden. Problem: Die Informationen der circa 2,5 Millionen BMW laufen nur bei BMW selbst in den Server, werden dort exklusiv für Besitzer der Marke ausgewertet und weitergeleitet. Wer keinen BMW fährt, der profitiert nicht von dieser Massnahme.
Dabei ist es im Grunde unumgänglich, dass die Pkw untereinander Vernetzung erfahren. Nur dann, wenn der Pkw aus der koreanischen Autoschmiede seine Daten auch an den Wagen aus Italien, Deutschland oder den USA weiterleitet, bringt es auch volkswirtschaftlichen Nutzen. So ist über das Internet eine Verkehrssteuerung möglich, die auf Echtzeit basiert und dabei hilft, das Ersticken im Stau zu unterbinden.
Vom sprechenden Auto zur sprechenden Ampel
Doch die Kommunikation der Pkw untereinander ist nur ein Anfang. Das Spektrum der Möglichkeiten dank moderner Technik ist viel weiter gefasst. So können beispielsweise Baustellenschilder mit einem Sender ausgerüstet werden, der mit dem Wagen kommuniziert und vor der Baustelle warnt. Und auch Ampeln wären in der Lage, mit den Pkw zu sprechen. So können sie nicht nur vor Rotphasen warnen, sondern auch eine „Grüne Welle“ oder die notwendige Geschwindigkeit, die man für freie Fahrt erreichen darf, an den Wagen melden. Eine Kommunikation von Car to Car ist, wie BMW zeigt, technisch machbar. Diese Sprechfähigkeit lässt sich dergestalt erweitern, dass man von „Car to X“-Kommunikation spricht.
Doch wo liegt der Haken, wenn es die Technik bereits hergibt, diese Features zu nutzen? Die Kosten sind immens! Ampeln, Baustellen, Schilder, Strassen, Brücken – die gesamte Infrastruktur müsste den Faktor Konnektivität bieten. Und auf welches System einigt man sich? Wer steht für die Kosten gerade? Dabei verfügen nicht wenige Städte bereits über erstklassige Verkehrsserver. Aber wen spricht das System an? Das Auto direkt oder doch das Smartphone via App?
Die Integration von Smartphones steht über anderen Faktoren
Die digitale Vollvernetzung ist nicht mehr aufzuhalten und schon gar nicht mehr umkehrbar. Apps sorgen nicht nur dafür, dass man freie Fahrt hat, sondern regeln sogar, dass man ein Event organisieren kann. Weil Apps viele Dinge des täglichen Lebens steuern, will fast jeder Käufer eines Neu- und auch Gebrauchtwagens die Option haben, sein Smartphone mit dem Wagen zu vernetzen. Apple CarPlay, MirrorLink oder auch Android Auto aus dem Hause Google bieten die Option an. Das Smartphone vernetzt sich mit dem Wagen, wird auf einem Touchscreen im Pkw sichtbar. Twitter an der Ampel nutzen – das ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Und die Fahrzeugindustrie hat erkannt, ohne die Integration des Smartphones in den Pkw geht nichts mehr.
Doch gerade diese Vernetzung erweist sich als zweischneidiges Schwert: Wer soll noch die sehr teuren Navigationsgeräte – teils mit TV- und DVD-Option – kaufen, wenn das Smartphone all diese Features bereits mitliefert? Ja, es muss ein Mehrwert geschaffen werden, und diesen Mehrwert liefern weitreichende Zusatz-Features, um schneller ans Ziel zu kommen. Das Navigationsgerät wird es sein, dem die Aufgabe zukommt, die relevanten Daten zu empfangen und im Sinne des Fahrers auszuwerten. So behalten auch die Geräte ihren Sinn und Nutzen – unterstützt vom Smartphone.
Oberstes Bild: Die gesamte automobile Infrastruktur wird sich bald in Richtung Vollvernetzung wandeln. (© Blue Island / Shutterstock.com)