Am Ende blieben nur noch Tränen – die geplatzten Autoträume der letzten Jahre
VON Robert Schumann Allgemein Auto
Manche dieser allesamt kühnen Projekte waren zu Ende, bevor sie richtig angefangen haben. Andere wiederum schafften es, durchaus beachtliche Umsätze zu erwirtschaften. Doch von den ambitionierten Entrepreneuren der 1990er- und 2000er-Jahre ist heute kaum noch einer übrig. Hier sollen die klangvollsten Namen noch einmal in Erinnerung gerufen werden, bevor der Nebel des Vergessens diese Episode des deutschen Automobilbaus für immer verschlingen wird.
Eine der verrücktesten Ideen für ein spektakuläres neues Fahrzeugkonzept kam von zwei jungen Ingenieuren aus Berlin. Nun ja, „neu“ ist in diesem Zusammenhang etwas übertrieben, jedoch darf eine neue Interpretation einer weltbekannten Form durchaus auch als Innovation verstanden werden. Die Rede ist von der Firma „Bell Aurens“, die mit ihrem „Longnose“ den altbekannten „Land Rover“ neu gestalten wollte.
Dazu zerrten die beiden Enthusiasten einmal ordentlich am Vorderwagen und gestalteten das Heck neu. Heraus kam ein Fahrzeug, welches auf den ersten Blick unverwechselbar war und dennoch eindeutig den Land Rover als Genspender hatte. Eine ellenlange Motorhaube verwandelte den global verbreiteten Wüsten- und Tropenstürmer zu einem lupenreinen Roadster der Extraklasse. Die optisch äusserst ansprechende Karosserie erlaubt die Aufnahme ebenso spektakulärer Motoren. Selbst die Implantierung des Motors eines Jagdflugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg wurde ernsthaft angedacht. Dabei ist es leider – bis jetzt – auch geblieben. Mehr als einen Prototypen gibt es von dieser Marke bislang nicht.
Eine andere Geschichte ist die der mit viel Chuzpe und Ignoranz der politischen Marschrichtung entstandenen Firma Melkus. Bereits zu DDR-Zeiten machte sich der gleichnamige Ingenieur an die Aufgabe, mit den vorhandenen Kapazitäten einen spektakulären Sportwagen zu schneidern. Dass dies bei den verfügbaren Anderthalb-Liter-Zweitaktmotoren alles andere als einfach war, kann sich jeder vorstellen.
In den späten 2000ern hatte Melkus dann tatsächlich noch einmal den Atem, eine ordentliche Neuauflage seines Flitzers zu konstruieren. Optisch dem Vorgänger aus den 1970ern sehr ähnlich,war diesmal im RS 1600 und RS 2000 aber Technik auf Höhe der Zeit verbaut worden. Ultraflache Flundern mit Flügeltüren aus einer Aluminium/GfK-Bauweise waren seit jeher die typischen Markenzeichen von Melkus. Leider ist die Serienfertigung des RS 2000 an vergleichsweise wenig Geld gescheitert und gegenwärtig steht die Liquidation an.
Tragisch, weil zwischendurch auf durchaus gesunden Füssen stehend, ist der Werdegang von Wiesmann. Die Roadster dieser Manufaktur waren weitaus mehr als Neuinterpretationen der BMW-Z-Reihe. Zwar sprachen Wiesmann mit ihren eigenwilligen, aber sehr formschönen Fahrzeugen dieselbe Zielgruppe an und verwendeten grösstenteils die Technik der süddeutschen Erfolgsfirma. Dennoch waren die Wiesmann-Fahrzeuge eigenständig in Design, Exklusivität und Leistungsfähigkeit.
Die Abhängigkeit von der BMW-Technik war bedauerlicherweise auch die Achillesferse dieses ambitionierten Herstellers spektakulärer kleiner Sportcoupés. Einige Bauteile entliehen sich die Ingenieure aus einem Teileregal, welches zu Baureihen gehörte, die schon längst eingestellt waren. So war eine bestimmte Gehäusekomponente dem BMW 850i entnommen. Doch dieser Wagen wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt, das Ersatzteil ebenso wenig.
Die Schadensfälle häuften sich, während gleichzeitig die Geschäftsführung anscheinend den Ernst der Lage zu spät erkannte. Auch hier ist die Insolvenz bereits angemeldet und – wenn kein Wunder geschieht – steht ein weiteres Kapitel der deutschen Automobilkunst vor seiner Abwicklung.
Die Insolvenz überlebt hat hingegen das hessische Unternehmen „Young Engineers Sportscar“. Die als YES-Roadster und YES-Clubsport bekannten Autos sind in ihrer kompromisslosen Sportlichkeit noch nicht einmal von Wiesmann erreicht. Es sind kleine, aber extrem hochmotorisierte Zweisitzer, welche in der Tradition eines Porsche Speedster stehen.
Das Design ist zwar in jedem Fall Geschmackssache und längst nicht so eingängig wie das von Wiesmann oder Melkus. Eigenständigkeit ist jedoch ebenfalls ein Mehrwert, welcher seinen Reiz hat, auch wenn nicht jedes Herz beim Anblick eines YES sofort im Sturm erobert wird. Dermassen kleine Fahrzeuge mit Drei-Liter-Motoren und über 250 Pferdestärken auszurüsten verdient in jedem Fall Respekt. Bleibt zu hoffen, dass die Firma nun den Erfolgskurs halten kann.
Die Grenzen des technisch Machbaren auszuloten war die Idee des Roland Gumpert. Der ehemalige Chef der Motorsportabteilung von Audi wollte mit dieser Firma in Grenzbereiche vorstossen, in die sich noch kein anderer Hersteller gewagt hatte. Das Ergebnis der Anstrengungen waren Fahrzeuge, welche sowohl auf der Strasse als auch auf der Rennstrecke für spektakuläre Leistungen sorgten. So wurde beispielsweise mit einem „Gumpert Apollo“ der Rundenrekord für strassenzugelassene Fahrzeuge auf dem Nürburgring gebrochen und wird bis heute gehalten. Motorleistungen von jenseits der 500 PS haben ihren Preis, für einen Gumpert kann man schnell über 600’000 Franken ausgeben.
Das Design ist wie beim YES äusserst eigenwillig und eindeutig mehr an technischen Notwendigkeiten orientiert als an einer ästhetischen Formensprache. Der Kundenkreis in dieser Preisklasse ist letzten Endes für Gumpert doch zu eng, weshalb das Unternehmen gegenwärtig um sein Überleben kämpft.
Innovationskraft und Leidenschaft waren schon seit jeher die Triebfedern des Fahrzeugbaus. Doch es kann nicht immer nur Erfolgsgeschichten geben. Dies ist jedoch kein Grund, die gescheiterten Projekte zu verachten und zu vergessen. Oft sind es gerade die kleinen Autoschmieden, die frei von gewachsenen Zwängen zu beachtlichen Höchstleistungen fähig sind. Dies haben die hier gezeigten Beispiele auf jeden Fall bewiesen.
Oberstes Bild: Gumpert Apollo (© Max Earey / Shutterstock.com)